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Gedicht an Josef Weinheber von W.H. Auden

Wystan Hygh Auden hat seine Wahlheimat Kirchstetten und das Land geliebt. Hier hat er sich wohlgefühlt und dieser Empfindung in dem Gedicht an Josef Weinheber Ausdruck verliehen:

Ein schmaler Pfad, der aus dem
Dorf kommt, führt an meinem
Gartentor vorbei und weiter in den Wald:
Wenn ich diesen Weg gehe,
Fühle ich mich verpflichtet, anzuhalten
Und durch den Zaun deines Gartens
Zu blicken, wo man (unter
Den damaligen Umständen)
Dich wie einen geübten
alten Familienhund begrub.

Abgestempelte Feinde
Vor zwanzig Jahren,
Jetzt, Nachbarn Tür an Tür, wären
Wir vielleicht Freunde gewordern,
Die eine gemeinsame Umwelt
Und die Liebe zum Wort teilten.
Bei einem goldfarbenem Kremser
Hätten wir lange Gespräche
Über Syntax, Kommas und
Versemachen geführt.

Ja, ja, es muß gesagt werden:
Männer großen Unheils
Und Übelwollens nahmen sich deiner an.
Für wie lange doch
Wickelten sie dich ein, dich,
Der auf Goebbels´Kulturangebot
Entgegnete In Ruah lassen!?
Aber Krethi und Plethi
Ziehen Skandale vor, und die Jungen
Verdammen dich ungelesen.

Was wohl, hättest du jemals gehört
Von Franz Jägerstätter,
Dem Bauern von St. Radegund,
Der sein einsames
Nein zum arischen Staat sagte
Und geköpft wurde -
Was wohl dir, dem Österreicher
und Dichter, dein Herz gesagt hätte?
Natürlich sorgte man dafür.
Daß nichts dir zu Ohren kam,

Dass du unvorbereitet warst
Für den Tag, der kommen mußte,
Für die Zeit voller Schrecken,
Tränen und Wirrnis,
Wo du, von Alpdrücken gequält,
Dich selbst zerstörtest.
Vergeltung war immer schon 
Eine Pfuscherin:
Dies alles ist furchtbar, hier
Nur Schweigen gemäß. (1)

Unbemerkt von mir, unbetrauert
Die Stunde deines Todes,
Unbegrüßt von dir der Augenblick,
Als ich, von der Vorsehung geführt,
Kirchstetten zum ersten Male sah,
An einem verregneten
Oktobertag, in einem Jahr,
Das unseren Kosmos veränderte,
Dem annus mirabilis,
Als die PARITÄT stürzte.

Schon waren die besiegten Reiche
Gründlich zufrieden
Und sattgefressen, ihre Verbrechen
Von ganz alltäglicher
Privater Art, jener Unfug,
Leichen und Trümmer,
Längst weggeräumt: die Geschändeten
Vergaßen den Schock,
Ihre entführten Physiker hatten
Kein Heimweh mehr.

Heute lächeln wir bei Hochzeiten,
Wo Braut und Bräutigam
Geboren wurden, als der SCHATTEN
sich hob oder vielmehr
Weiterwanderte. Niemals noch 
War unsere Erde ohne
Böse Flecken, ohne einen Unort
Mit Jobs für Folterknechte.
(An welcher Theke sind sie willkommen?
Welche Mädchen heiraten sie?),

Oder auf ihrer nährenden Oberfläche
Überall Frieden.
Kein Mensch ist, soweit wir wissen,
Jemals sicher gewesen,
Drum hüten brave Familienväter
In geheimgehaltenen Zonen
Mit der Hingebung von Mönchen
Apparaturen,
In denen harmlose Materie
Mörderisch wird.

Doch hier fühle ich mich zu Hause
Wie du einst: dieselben
Kurzlebigen Geschöpfe stimmen wieder 
Dieselben sorgenfreien Lieder an,
Obstgärten bleiben dem Regime treu,
Das sie kennen, von des Aprils
Rasch aufblühenden Farben 
Bis hin zum ungestümen Herbst,
Wenn bei jedem stammelnden Windstoß
Äpfel auf den Boden schlagen.

Schaue ich über unser Tal.
Wo, dem Blick entzogen,
Der Sichelbach westwärts eilt,
Um mit der Perschling sich zu
vereinen -
Ein menschlich bescheidenes Bild
Und sanft in den Konturen -,
Bin ich mir bedeutenderer Nachbarn bewusst,
Die ich verehre: die Berge
Die hinter mir aufragen, vor mir
Der prächtige Fluss.

Doch möchte auch dich ich ehren,
Kollege und Nachbar,
Denn selbst mein englisches Ohr
Entdeckt in deinem Deutsch
Die Meisterschaft und den Tonfall
Eines, dem es vergönnt war,
Das Spiel der Bratschen
Auf umzäuntem Rasen zu hören,
Und dem es später oblag, den
Abgrund zu nennen? (2)

W.H. Auden
Übertragen von Herbert Heckmann

(1) Zitat aus Weinhebers Gedicht "Auf das Unabwendbare".
(2) Zitat aus Weinhebers Gedicht "Kammermusik".

 

W.H. Auden